Zeugenschaft im Großen Sterben

„Bezeuge mein Sterben“, sprach die Fichte.
Diese Worte kamen zu mir auf einem Schwellengang im Wald. Seither gehe ich mit offenen Augen. Ich sehe die gefällten Bäume, die ausgetrockneten Böden, die kahlen Flächen. Ich sage: Ich sehe Dich. Ich versuche, nicht wegzusehen.
Dieses Projekt ist meine Art, Zeugnis abzulegen. Auf kahlen Baumstümpfen zeichne ich mit Pflanzenkohle doppelte Spiralen – Symbole des unendlichen Lebens, Gesten des Heilens. Auf gestapelten Baumstämmen entstehen Augen. Sie blicken. Sie erinnern. Sie sagen: Wir waren hier. Sie schauen die Vorübergehenden an – als wollten sie fragen: Siehst Du? Als wollten sie sagen: Mach die Augen auf.
Vielleicht bemerkt jemand diese Zeichen im Vorübergehen. Vielleicht bleiben sie ungesehen. Doch die Handlung zählt: das stille Antworten auf ein stummes Rufen.
Ich singe manchmal für das, was gestorben ist, weil es mich daran erinnert, dass Trauer ein Weg ist, verbunden zu bleiben.
Eine Einladung
Vielleicht gehst Du selbst einmal an einem Kahlschlag vorbei. Vielleicht bleibt Dein Blick an einem abgestorbenen Baum hängen. Vielleicht spürst Du etwas, das Dich ruft.
Ich lade Dich ein, nicht wegzusehen. Nimm Dir einen Moment. Lausche. Spür hin. Sag vielleicht: Ich sehe Dich.
Diese Geste der Zeugenschaft braucht keinle Bühne. Sie geschieht im Stillen, im Vorübergehen, im Herzen. Wenn Du magst, kannst Du mir schreiben, was Dir begegnet ist. Oder Deine eigene Weise finden, sichtbar zu machen, was stirbt – und was bleibt.